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Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 21.03.2006
Aktenzeichen: 14 U 182/05
Rechtsgebiete: UStG, AO 1977, InsO
Vorschriften:
UStG § 18 Abs. 1 Satz 1 | |
UStG § 18 Abs. 1 Satz 3 | |
AO 1977 § 220 Abs. 1 | |
AO 1977 § 220 Abs. 2 | |
InsO § 95 Abs. 1 Satz 3 |
Wenn ein Unternehmer entgegen § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG seine Umsatzsteuervoranmeldung nicht bis zum 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums abgegeben hat, wird der Anspruch des Finanzamts auf die Umsatzsteuervorauszahlungen gem. § 220 Abs. 2 Satz 1 AO (1977) grundsätzlich mit seiner Entstehung sofort fällig.
Der Anspruch des Finanzamts auf Umsatzsteuervorauszahlungen entsteht mit Ablauf des letzten Tages des maßgeblichen Voranmeldungszeitraums.
Die Fälligkeitsregelung des § 220 Abs. 2 Satz 2 AO (1977), nach der die Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerverhältnis nicht vor Bekanntgabe der Festsetzung eintritt, gilt nicht, wenn der Anspruch des Finanzamts keiner Festsetzung durch den Steuerbescheid nach § 218 Abs. 1 AO (1977) mehr zugänglich ist, weil das Finanzamt wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 87 InsO daran gehindert ist, seine Steuerforderung durch Steuerbescheid festzusetzen.
Eine Aufrechung mit Gegenforderungen des Finanzamts aus dem Steuerverhältnis kann zulässig sein, wenn ein Unternehmer entgegen § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG seine Umsatzsteuervoranmeldung nicht bis zum 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums abgegeben hat und deshalb der Anspruch des Finanzamts auf die Umsatzsteuervorauszahlungen gem. § 220 Abs. 2 Satz 1 AO (1977) schon mit Ablauf des letzten Tages des maßgeblichen Voranmeldungszeitraums fällig wird. Das Aufrechnungsverbot des § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO kann in diesem Fall nicht anwendbar sein.
Bund und Länder sind Teilgläubiger i. S. v. § 420 (2. Alt.) BGB der Umsatzsteuer, deren Aufkommen ihnen gemeinsam zusteht (Gemeinschaftsteuer, Art. 106 Abs. 3 GG).
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil
Verkündet am 21. März 2006
In dem Rechtsstreit
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 14. Februar 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie die Richter am Oberlandesgericht ... und ... für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 18. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 12. Juli 2005 wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das angefochtene Urteil abgeändert und neu gefasst wie folgt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen in Bezug auf die Klageforderungen aus dem Bauvorhaben Ausbau der B1/B83 "..." über 66.161,19 EUR, weitere 917,97 EUR für die dazugehörigen Bestandspläne und 157,52 EUR für Lichtbilder sowie 472,57 EUR für das Bauwerksbuch und 630,08 EUR für die Mikroverfilmung und 80.472,91 EUR aus der Baumaßnahme B1 OD H./O. (insges.148.812,24 EUR).
Streitwert des Berufungsverfahrens: 476.014,10 EUR.
Gründe:
I.
Der Kläger macht als Insolvenzverwalter über das Vermögen einer Straßenbaufirma - unstreitige - Werklohnforderungen in Höhe von 476.014,10 EUR gegenüber der Beklagten geltend. Demgegenüber hat die Beklagte insgesamt die Aufrechnung erklärt mit - streitigen - Gegenforderungen aus dem Bundesanteil von Steuerforderungen des Finanzamts D., die aus Umsatzsteuerrückständen der Jahre 1995, 1997 und der Zeit bis einschließlich Januar 2002 herrühren. Am 1. Februar 2002 ist das Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet worden.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen wird Bezug genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 82 f. d. A.).
Das Landgericht hat der Klage zum Teil - über 255.922,64 EUR - stattgegeben, weil es die Gegenforderung der Beklagten nur in Höhe von 220.091,46 EUR für begründet gehalten hat. Die Aufrechnung sei in Bezug auf die Umsatzsteuerforderung für Januar 2002 nach § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO ausgeschlossen. Diese Forderung sei im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung nicht fällig gewesen. Das hätte die Entstehung der Steuerforderung vorausgesetzt. Die Forderung für Januar 2002 sei jedoch im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht festgesetzt gewesen. Da es sich insoweit um eine Vorsteuerrückforderung gemäß § 17 Abs. 2 UStG handele und ein solcher Anspruch innerhalb des Voranmeldezeitraums fällig werde, in den die Insolvenzeröffnung falle, § 18 UStG, würden Vorauszahlungen 10 Tage nach Ablauf des Voranmeldezeitraums fällig, in dem sie entstanden seien, wobei der Voranmeldezeitraum maßgeblich sei, in den die Insolvenzeröffnung falle. Früher werde die Steuerforderung nicht fällig, weil sie erst mit Ablauf des Voranmeldezeitraums entstehe (vgl. im Einzelnen Bl. 83 f. d. A.).
Gegen dieses Urteil wenden sich beide Parteien mit der Berufung:
Der Kläger ist der Ansicht, es fehle bereits an einer Gegenseitigkeit der Forderung. Darüber hinaus könne nicht mit sämtlichen Umsatzsteuerforderungen aufgerechnet werden.
Er beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 220.091,46 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. Juni 2004 zu zahlen.
Die Beklagte verteidigt demgegenüber - insoweit - das angefochtene Urteil und beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Darüber hinaus beantragt die Beklagte,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Aufrechnungslage sei nicht erst während des Insolvenzverfahrens eingetreten. § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO sei nicht anwendbar. Auch die vom Landgericht angewendeten Fälligkeitsregelungen der §§ 17, 18 UStG würden nicht eingreifen, weil diese Bestimmungen voraussetzten, dass der Unternehmer eine Voranmeldung im Sinne von § 18 UStG vorgenommen habe, was jedoch nicht der Fall gewesen sei. Die Fälligkeitsregelung des § 18 Abs. 1 Satz 3 UStG sei zudem auf Umsatzsteuervorauszahlungen, die entgegen § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG nicht angemeldet worden seien, nicht anwendbar. Deshalb fehle es an einer speziellen steuerrechtlichen Regelung im Sinne von § 220 Abs. 1 AO, weshalb der Vorsteuerrückforderungsanspruch mit seiner Entstehung fällig geworden sei, § 220 Abs. 2 AO.
Der Kläger verteidigt demgegenüber das angefochtene Urteil und beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach und Streitstands wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.
II.
Von den je zulässigen Berufungen ist nur die der Beklagten begründet, weil die Klage unbegründet ist. Aufgrund der Aufrechnung der Beklagten mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis ist die Hauptforderung des Klägers in Höhe von 476.014,10 EUR und damit die Klageforderung insgesamt erloschen.
1. Gemäß § 276 Abs. 1 AO (1977 - wie auch stets im Folgenden) gelten für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sinngemäß die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts, soweit nicht anderes bestimmt ist. Damit richtet sich hier die Aufrechnung zunächst nach den §§ 387 ff. BGB.
a) Zu Recht geht das Landgericht von einer Gleichartigkeit der Forderungen gemäß § 387 BGB und - im Ergebnis - auch deren Gegenseitigkeit aus. Bund und Länder sind nach Art. 106 Abs. 3 GG nicht Gesamt, sondern Teilgläubiger der Umsatzsteuer, deren Aufkommen ihnen gemeinsam zusteht (Gemeinschaftssteuer), wobei die jeweiligen Anteile durch Bundesgesetz festgesetzt werden. Gemäß Art. 106 Abs. 3 Nr. 1 GG haben Bund und Länder im Rahmen der laufenden Einnahmen gleichmäßig Anspruch auf Deckung ihrer notwendigen Ausgaben. Jedem Gläubiger steht damit der auf ihn entfallende Anteil der Umsatzsteuerforderung zu. Das entspricht der Teilgläubigerschaft gemäß § 420 (2. Alt.) BGB (vgl. BFH, Urt. v. 12. März 1963, VII 98/61 U, BB 1963, 591 [veröffentl. auch bei juris, dort Rn. 21]; MünchKommBGB/Bydlinski, BGB, 4. Aufl., § 428 Rn. 14).
b) Die Gegenforderungen der Beklagten sind fällig.
aa) Gemäß § 220 Abs. 1 AO richtet sich die Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerverhältnis nach den Vorschriften der Steuergesetze. Fehlt es jedoch an einer besonderen gesetzlichen Regelung über die Fälligkeit, wird gemäß § 220 Abs. 2 Satz 1 AO der Anspruch grundsätzlich mit seiner Entstehung fällig.
(1) § 18 Abs. 1 Satz 3 UStG ist - als Vorschrift der Steuergesetze im Sinne von § 220 Abs. 1 AO - entgegen der Meinung des Landgerichts auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.
Die Gegenforderung der Beklagten setzt sich allein aus Umsatzsteuervorauszahlungsschulden zusammen (vgl. nur Bl. 34 f. d. A.). Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 3 UStG sind die Vorauszahlungen am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums fällig. Der Teil der Gegenforderung, der aus den Vorauszahlungsrückständen für Januar 2002 resultiert, könnte danach - wie vom Landgericht angenommen - erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (1. Februar 2002) am 10. Februar 2002 fällig geworden sein. Dann wäre die Aufrechnungslage erst im Insolvenzverfahren entstanden, und § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO würde einer Aufrechnung entgegenstehen. Allerdings ist umstritten, ob § 18 Abs. 1 Satz 3 UStG auch auf Umsatzsteuervorauszahlungsschulden anwendbar ist, die entgegen § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG nicht angemeldet worden sind (vgl. zum Meinungsstand BFH, Urt. v. 4. Mai 2004, VII R 45/03, BB 2004, 1546 = ZIP 2004, 1423 = ZInsO 2004, 862 [II. 2. der Entscheidungsgründe]). Um derartige Schulden handelt es sich aber vorliegend:
Das folgt - auch - aus den Angaben des Klägers im Rahmen seiner Berufungserwiderung vom 31. Oktober 2005 (Bl. 164 f. d. A.). Danach hat die Insolvenzschuldnerin ihre Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Januar 2002 am 15. März 2002 abgegeben. Das war nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums (31. Januar 2002 gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 UStG). Zu diesem Zeitpunkt - März 2002 - war das Insolvenzverfahren bereits eröffnet. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Schreiben des Finanzamts D. vom 24. Januar 2005 (Bl. 39 d. A.), auf das sich der Kläger (a. a. O.) bezieht, dass für den Januar 2002 "keine Umsatzsteuervoranmeldung abgegeben worden war". Deshalb sei aufgrund des am 1. Februar 2002 eröffneten Insolvenzverfahrens eine Umsatzsteuerberechnung für den Monat Januar 2002 im Schätzungswege durchgeführt worden (Bl. 39 d. A.). Soweit der Kläger vorträgt, die Insolvenzschuldnerin habe dennoch die Umsatzsteuervoranmeldungen fristgerecht abgegeben, weil ihr eine "einmonatige Fristverlängerung" gewährt worden sei (S. 3 des Schriftsatzes v. 31. Oktober 2005, Bl. 165 d. A.), ist dieser (bestrittene, Bl. 186 d. A.) Vortrag unerheblich, weil diese - dann am 10. März 2002 ablaufende - Frist mit der Anmeldung vom 15. März 2002 (Bl. 164/165 d. A.) ebenfalls nicht eingehalten worden ist.
Die Insolvenzschuldnerin hat demnach jedenfalls nicht gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG bis zum 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums für die Umsatzsteuervorauszahlung betreff den Monat Januar 2002 eine Voranmeldung abgegeben.
Der Senat ist der Ansicht, dass auf diesen Fall die Fälligkeitsregelung des § 18 Abs. 1 Satz 3 UStG nicht anzuwenden ist. Denn diese Vorschrift schiebt die Fälligkeit lediglich dann bis zum 10. des Monats nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums hinaus, wenn der Unternehmer seine Voranmeldung unmittelbar zu Beginn des auf den Voranmeldungszeitraum folgenden Monats abgegeben hat. Dadurch soll dem Unternehmer von Gesetzes wegen gleichsam eine gewisse Fristverlängerung eingeräumt werden, um die Fälligkeit der Vorauszahlung um 10 Tage - das ist 1/3 des Voranmeldungszeitraums - zu verzögern. Wenn der Unternehmer indes entgegen § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG seine Voranmeldung nicht bis zum 10. Tag nach Ablauf jenes Voranmeldungszeitraums abgegeben hat, besteht kein Grund, ihm diese relative "Vergünstigung" zu gewähren. Es ist dann sachgerecht, den Anspruch aus dem Steuerverhältnis über die Generalklausel des § 220 Abs. 2 Satz 1 AO grundsätzlich mit seiner Entstehung sofort fällig werden zu lassen. Dann aber entsteht der Anspruch des Finanzamts - und damit hier auch die maßgebliche Gegenforderung für den Zeitraum Januar 2002 - auf Umsatzsteuervorauszahlung mit dem Ende des letzten Tages des maßgeblichen Voranmeldungszeitraums, d. h. hier mit Ablauf des 31. Januar 2002 (vgl. BFH, Urteile v. 26. Januar 2005, VII R 22/04, BFH/NV 2005, 1210; v. 31. Mai 2005, VII R 71/04, StE 2005, 2147; v. 4. Mai 2004 a. a. O.; je m. w. N.).
Dem steht auch nicht § 220 Abs. 2 Satz 2 AO entgegen. Wie der Bundesfinanzhof im erwähnten Urteil vom 26. Januar 2005 entschieden hat, schränkt der Grundsatz, dass der Anspruch des Finanzamts auf Umsatzsteuervorauszahlungen mit dem Ende des letzten Tages des maßgeblichen Voranmeldungszeitraums entsteht, § 220 Abs. 2 Satz 2 AO ein. Denn diese Regelung - nach der die Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerverhältnis, die sich erst aus einer Festsetzung ergeben, nicht vor Bekanntgabe der Festsetzung eintreten soll - greift nach dem Bundesfinanzhof dann nicht ein, wenn der Anspruch des Finanzamts keiner Festsetzung durch den Steuerbescheid gemäß § 218 Abs. 1 AO mehr zugänglich ist, weil das Finanzamt wegen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gemäß § 87 InsO daran gehindert ist, seine Steuerforderungen durch Steuerbescheid festzusetzen. Die Fälligkeit der Forderung des Finanzamts und damit hier die Gegenforderung der Beklagten richtet sich dann nach § 220 Abs. 2 Satz 1 AO (vgl. BFH, Urt. v. 26. Januar 2005, a. a. O., veröffentlicht auch bei juris, dort Rn. 8 m. w. N.). Die Beklagte kann also im Insolvenzverfahren mit Forderungen aufrechnen, die vor Verfahrenseröffnung entstanden sind, ohne dass es deren vorheriger Festsetzung, Feststellung oder Anmeldung zur Insolvenztabelle bedarf (BFH, Urteile v. 4. Mai 2004; 26. Januar 2005; 31. Mai 2005; je a. a. O.).
(2) Demnach ist die Gegenforderung der Beklagten auch insoweit noch bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig geworden, als sie sich aus Umsatzsteuervorauszahlungsschulden für die Zeit bis einschließlich Januar 2002 - und damit auf sämtliche Einzelforderungen der Gegenforderung - bezieht. Die übrigen Umsatzsteuervorauszahlungsschulden sind ohnehin früher fällig geworden, da sie aus den Jahren 1995 und 1997 resultieren.
bb) Der Aufrechnung der Beklagten stehen keine Aufrechnungsverbote entgegen.
(1) Die Aufrechnung der Beklagten ist nicht gemäß § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO ausgeschlossen.
a) Da - wie ausgeführt - die Gegenforderung der Beklagten insgesamt spätestens mit Ablauf des 31. Januar 2002 fällig geworden ist, kann das Aufrechnungsverbot gemäß § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO allenfalls für die Forderungen des Klägers eingreifen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig geworden sind. Da es sich bei den Hauptforderungen des Klägers um Werklohnforderungen der Insolvenzschuldnerin aus VOB/BVerträgen mit der Beklagten handelt, kommt es hier zunächst gemäß §§ 14, 16 Nr. 3 Abs. 1 VOB/B auf den Eingang der prüffähigen Schlussrechnung an; soweit diese bis November 2001 zugegangen waren, sind sie nach Ablauf von zwei Monaten nach Zugang hinsichtlich der Prüffähigkeit nicht mehr rügefähig (vgl. BGH, Urt. v. 23. September 2004, VII ZR 173/03, NJWRR 2005, 167; [noch unveröffentl.] Urt. v. 8 Dezember 2005, VII ZR 50/04, juris). Nach der - insoweit unstreitigen - Aufstellung der Beklagten in ihrer Klageerwiderung vom 21. Februar 2005 (Bl. 33 f. d. A.) sind jedoch die Schlussrechnungen aus den Forderungen der Insolvenzschuldnerin keineswegs sämtlich bis November 2001 zugegangen, sondern in sieben der dort aufgelisteten Fälle erst im Jahre 2002 oder noch später. Das betrifft insgesamt einen Teil der Hauptforderung von 284.554,73 EUR (171.052,68 EUR aus der Baumaßnahme B 83 K. B.O. zzgl. 2.494,64 EUR aus dem Bauwerk Be2/B 64 A.L., 37.058,63 EUR aus dem Bauwerk Be4/B 64 A.L., 53.175,75 EUR aus dem Bauwerk Be7/B 64 A.L., 3.166,94 EUR aus der Nachberechnung betreffend das Bauvorhaben Ausbau der B1/B 83 "...", 18.896,12 EUR aus dem Bauvorhaben B 83 W. H., abzüglich 1.290,03 EUR aus dem Bauwerk Be3, B 64 A.L.).
Vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind damit nur Forderungen der Insolvenzschuldnerin in Höhe von insgesamt 191.459,37 EUR entstanden. Die darüber hinausgehenden Hauptforderungen von insgesamt 284.554,73 EUR sind erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens unbedingt und fällig geworden. Für sie gilt das Aufrechnungsverbot des § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO - wie ausgeführt - ohnehin nicht.
b) Nur ein Teilbetrag dieser Hauptforderungen über 191.459,37 EUR wird schon durch die Gegenforderungen zum Erlöschen gebracht, die aus Umsatzsteuerrückständen der Jahre 1995 und 1997 resultieren (zur Höhe i. E. unten 2.). Gem. § 94 InsO wird das Recht zur Aufrechnung durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt, wenn ein Insolvenzgläubiger in diesem Zeitpunkt kraft Gesetzes zur Aufrechnung berechtigt war. Das trifft jedenfalls für diesen Teil der Gegenforderungen (1995/1997) zu, weil sie in jedem Fall vor Insolvenzeröffnung fällig geworden sind. Allerdings kann die Beklagte mit diesen Gegenforderungen nicht alle Hauptforderungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, zum Erlöschen bringen. Denn sie hat im Rahmen des Berufungsverfahrens (Berufungsbegründung v. 30. August 2005, Bl. 113 d. A.) die Tilgungsreihenfolge der Gegenforderungen im Verhältnis zur Hauptforderung bestimmt (§ 396 BGB), was ihr - entgegen der Ansicht des Klägers - schon deshalb unbenommen war, weil sie zuvor keine entsprechende Bestimmung getroffen hatte; die Kontoauszüge vom 14. Februar 2005 (Bl. 43 ff. d. A.) können eine solche Erklärung nicht ersetzen. Nach dieser Bestimmung sollen ihre Gegenforderungen in der Reihenfolge gem. Anlage B 1 (Bl. 37/38 d. A.) gegenüber den Hauptforderungen gem. S. 4 der Klageschrift (Bl. 4 u. entsprechend Bl. 33 f. d. A.) aufgerechnet werden. Danach wird also zunächst aufgerechnet gegenüber der - vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens fälligen - Hauptforderung aus dem Bauvorhaben B 217 A.H. über 42.647,13 EUR und sodann gegenüber den - nach Eröffnung fälligen - Forderungen aus der Baumaßnahme B 83 K. B.O. über 171.052,68 EUR, für das Bauwerk Be2 B 64 A.L. über 2.494,64 EUR und Be4 B 64 A.L. über 37.058,63 EUR. Die folgenden Hauptforderungen können mit den Gegenforderungen aus 1995/1997 in keinem Fall mehr zum Erlöschen gebracht werden, weil die Gegenforderungen - mit Ausnahme der aus Januar 2002 - verbraucht sind. Das bedeutet, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens fälligen Hauptforderungen aus dem Bauvorhaben Ausbau der B 1/B 83 "..." über 66.161,19 EUR, für die dazugehörigen Bestandspläne über 917,97 EUR und Lichtbilder über 157,52 EUR sowie das Bauwerksbuch über 472,57 EUR und die Mikroverfilmung über 630,08 EUR und schließlich die Baumaßnahme B 1 OD H./O. über 80.472,91 EUR - insgesamt also 148.812,24 EUR der gen. 191.459,37 EUR - werden infolge der Tilgungsbestimmung der Beklagten nicht durch die Aufrechnung mit den Gegenforderungen aus 1995/1997 zum Erlöschen gebracht. Ob hinsichtlich dieser 148.812,24 EUR ein Anspruch des Klägers besteht, hängt also davon ab, ob mit der Gegenforderung aus Januar 2002 aufgerechnet werden kann. Der Senat bejaht das (s. o. 1. b) aa)). Folgte man der vom Senat abgelehnten Gegenansicht, würde hier jedoch das Aufrechnungsverbot des § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO gelten. Denn dann wäre die Aufrechnungslage erst am 10. Februar 2002 und damit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten. Die gen. Hauptforderungen über ges. 148.812,24 EUR wären dagegen schon früher unbedingt und fällig gewesen.
(2) Der Aufrechnung der Beklagten steht auch kein Aufrechnungsverbot gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegen.
Nach dieser Vorschrift ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger - hier die Beklagte - erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Masse schuldig geworden ist, d. h. wenn seine Schuldnerposition erst nach Verfahrenseröffnung entstanden ist (vgl. nur Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 96 Rn. 4). Das Insolvenzverfahren ist hier am 1. Februar 2002 eröffnet worden. Unter Ansatz der - wie zuvor erwähnt - erst nach dem 1. Februar 2002 bei der Beklagten eingegangenen Schlussrechnungen wäre - die "Schuldnerposition" der Beklagten ab Fälligkeit der Schlussrechnung angenommen - die Beklagte erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden, nämlich in Höhe der genannten 284.554,73 EUR, weil zuvor jedenfalls der Anspruch der Insolvenzschuldnerin nicht durchsetzbar gewesen wäre. Für eine entsprechende Sicht könnte sprechen, dass eine nach Verfahrenseröffnung entstehende Aufrechnungslage nicht schutzwürdig ist, da der aufrechnende Insolvenzgläubiger nur auf seine Quotenregelung vertrauen durfte und eine nachträgliche Aufwertung seiner Insolvenzforderung im Widerspruch zu dem insolvenzrechtlichen Prinzip der Gläubigerbehandlung stünde. Demgegenüber soll durch das Aufrechnungsverbot gewährleistet werden, dass nach Verfahrenseröffnung zugunsten der Insolvenzmasse begründete Forderungen dieser auch in voller Höhe zukommen, zum andern soll verhindert werden, dass Insolvenzgläubiger Verbindlichkeiten gegenüber der Insolvenzmasse eingehen, um anschließend wegen ihrer Insolvenzforderung durch Aufrechnung Befriedigung zu suchen (Uhlenbruck a. a. O., Rn. 5 [S. 1562 oben]).
Für den vorliegenden Fall passt das indes nicht, weil der Eingang der Schlussrechnung nicht von der Beklagten abhing, sie als Insolvenzgläubigerin also nicht Verbindlichkeiten gegenüber der Insolvenzmasse "eingegangen" ist, um dann wegen ihrer Insolvenzforderung durch Aufrechnung Befriedigung zu suchen. Vielmehr ist für die Frage, ob § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO der Aufrechnung durch den Insolvenzgläubiger entgegensteht, entscheidend, ob die Hauptforderung ihrem Grunde nach vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Dabei ist für die Wirksamkeit der Aufrechnung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens allein entscheidend, ob die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll, im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits dem Grund nach bestanden hat (vgl. FG Berlin, Urt. v. 26. August 2003, 5 K 5055/02, EFG 2003, 1758; juris), also die Hauptforderung ihrem Kern nach bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist (vgl. BFH, Urt. v. 5. Oktober 2004, VII R 69/03, BB 2005, 308 = ZIP 2005, 266 = ZInsO 2005, 542 [II. 2. a) der Entscheidungsgründe]). Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens war jedoch vorliegend auch hinsichtlich der Forderungen, die aufgrund der später zugestellten Schlussrechnungen erst im Nachhinein fällig geworden sind, der Rechtsgrund für den diesen Forderungen zugrundeliegenden Anspruch bereits gelegt, weil die Insolvenzschuldnerin zu diesem Zeitpunkt bereits ihre Leistungen im Rahmen der Bauvorhaben erbracht hatte (vgl. BFH, Urt. v. 31. Mai 2005, VII R 74/04, BFH/NV 2005, 1745 [II. 2. b) der Entscheidungsgründe]). Demnach ist nicht auf den Eingang der Schlussrechnung abzustellen. Die Beklagte durfte somit bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens darauf vertrauen, dass die Durchsetzung ihrer Steuerforderungen auch mit Rücksicht auf das Entstehen einer späteren Aufrechnungslage keine Schwierigkeiten bereiten würde; dieses Vertrauen wird im Insolvenzverfahren geschützt (vgl. BGHZ 160, 1 [II. 2. b) der Entscheidungsgründe]; BFH, Urt. v. 5. Oktober 2004 a. a. O.).
2. Die Gegenforderung der Beklagten übersteigt in jedem Fall die Hauptforderung. Erstinstanzlich unbestritten besteht eine Forderung des Finanzamtes D. zumindest in Höhe von 461.567,48 EUR (vgl. Bl. 6, 16, 17, 62 d. A.). Bei dem - von dem Kläger insoweit selbst zugrunde gelegten (Bl. 6, 63 d. A.) - Bundesanteil von 52 % an der Umsatzsteuer, die die Beklagte - wie oben unter 1. a) ausgeführt - als Teilgläubigerin verlangen kann, ergibt sich schon eine aufrechenbare Gegenforderung in Höhe von 240.015,09 EUR (so auch Bl. 6 d. A.). Soweit der Kläger im Berufungsverfahren - erstmals (vgl. Bl. 63 d. A.) - im Einzelnen die Höhe der geltend gemachten Gegenforderungen aus Umsatzsteuerschulden für die Jahre 1995 und 1997 bestreitet (Berufungsbegründung v. 20. September 2005, Bl. 132 ff. d. A.; Berufungserwiderung v. 31. Oktober 2005, Bl. 166 ff. d. A.), ist das gem. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO unbeachtlich und im Übrigen letztlich auch im Ergebnis unerheblich. Denn unter Ansatz der Berechnungen des Klägers stünden der Beklagten betr. die Jahre 1995 und 1997 aufrechenbare Gegenforderungen in Höhe von 140.172,04 EUR (Bl. 133 d. A.) oder 148.297,17 EUR (Bl. 167 f. d. A.) zu. Der verbleibende Betrag von 335.842,06 EUR (476.014,10 - 140.172,04) bzw. 327.716,93 EUR (476.014,10 - 148.297,17) bzw. 235.999,01 EUR (gem. Bl. 6 d. A. 476.014,10 - 240.015,09) wird durch den Bundesanteil der Umsatzsteuerforderung betreff Januar 2002 über 961.962,57 EUR (Bl. 38 d. A.) vollständig zum Erlöschen gebracht.
Die Beklagte hat diese Forderung im Einzelnen vorgetragen und belegt (vgl. insbesondere Bl. 45 d. A.). Demgegenüber hat der Kläger erstinstanzlich lediglich eingewandt, die Forderungsaufstellung sei nicht nachvollziehbar (S. 2 des Schriftsatzes v. 31. März 2005, Bl. 63 d. A.). Im Übrigen hat sich der Kläger mit der Höhe dieses Teils der Gegenforderung nicht weiter auseinander gesetzt. Auch im Berufungsverfahren ist er insoweit lediglich von einer mangelnden Fälligkeit ausgegangen (S. 10/11 der Berufungserwiderung v. 31. Oktober 2005, Bl. 172 f. d. A.). Da diese Forderung aber - wie dargelegt - zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig war, kann sie auch als Gegenforderung Berücksichtigung finden. Die Klageforderung ist damit insgesamt erloschen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 108 Abs. 1 ZPO.
Der Senat hat die Revision in Bezug auf den Teil der Klageforderung zugelassen, der - je nach Ansicht - von dem Aufrechnungsverbot nach § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO betroffen sein könnte (s. o. II. 1. b) bb) (1) (b)). Da es sich insoweit um einen tatsächlich und rechtlich selbständigen, abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffs handelt, ist die entsprechend eingeschränkte Revisionszulassung möglich (vgl. BGH, Urt. v. 5. November 2003, VIII ZR 320/02, NJWRR 2004, 426). Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf die noch nicht entschiedene Frage, ob § 18 Abs. 1 Satz 3 UStG auch auf Umsatzsteuervorauszahlungsschulden anwendbar ist, die entgegen § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG nicht angemeldet worden sind. Der Bundesfinanzhof hat im Urteil vom 4. Mai 2004 (VII R 45/03, BB 2004, 1546 = ZIP 2004, 1423 = ZInsO 2004, 862 - mit Darstellung des Meinungsstandes) diese Frage dahinstehen lassen, weil es im dort zu entscheidenden Fall auf deren Beantwortung letztlich nicht ankam. Vorliegend kommt es jedoch - wie dargelegt - zum Teil darauf an. Soweit die Umsatzsteuervorauszahlungsschulden aus Januar 2002 erst gemäß § 18 Abs. 1 Satz 3 UStG am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums fällig geworden wären, wäre der entsprechende Teil der Gegenforderung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig geworden. Dann würde der Aufrechnung zumindest teilweise das Aufrechnungsverbot gemäß § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO entgegenstehen.
Ende der Entscheidung
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